Trisomie 21

 

Der folgende Text stammt von Sabine Maurer. Die Autorin hat die Veröffentlichung ihrer Arbeit an dieser Stelle genehmigt.

 

Was ist eigentlich ein Down-Syndrom?

 

"Ich weiß wohl,
dass sich in unserer Gesellschaft vieles ändern muss,
damit die Menschen, die nicht selbst betroffen sind,
etwas Positives in einem Kind mit Down-Syndrom sehen lernen.
Doch wenn ich ... etwas gelernt habe, so ist es,
die herrschenden Vorstellungen zu hinterfragen."
(Barbara Curtis)

 

In vielen Foren für (werdende) Eltern wird des Öfteren über die Situation gesprochen, dass ein (ungeborenes) Baby eventuell oder sogar mit Sicherheit ein Down-Syndrom hat. Die Diagnose oder auch nur der bloße Verdacht (z .B. nach pränataldiagnostischen Untersuchungen) trifft die meisten werdenden oder frisch gebackenen Eltern wie ein Schlag. Der Schock sitzt tief, hatte man sich doch ein gesundes, nicht behindertes Kind gewünscht. Und nun das...

Aber Hand aufs Herz: Wer weiß eigentlich so genau, was es mit dem Schreckgespenst „Down-Syndrom" auf sich hat?

Zunächst mal: Der Begriff Down-Syndrom kommt aus dem Englischen und wird „Daun-Sündrom" ausgesprochen. Down-Syndrom ist das Gleiche wie Trisomie 21.

Der erste Ausdruck hat nichts damit zu tun, dass die betroffenen Menschen irgendwie „down" (englisch = unten, niedergeschlagen, deprimiert) wären! Im Gegenteil zeigen sich sehr viele Menschen mit dieser Behinderung als ausgesprochene „up" - Menschen! Der Ausdruck „Down-Syndrom" geht vielmehr auf den englischen Arzt Dr. John Langdon Haydon Langdon-Down (er bestand auf das doppelte „Langdon" ) zurück, der das Syndrom 1866 als erster unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten detailliert beschrieb und es dadurch von anderen damals bekannten Behinderungsformen abgrenzte.
Er hatte übrigens selbst einen Enkelsohn mit der nach ihm benannten Behinderung, doch Dr. Langdon-Down starb, bevor er den kleinen John kennen lernen konnte. Eigentlich ja schon schade, denn es wäre sicher ein sehr besonderes Treffen geworfen, über das ich gerne etwas gelesen hätte... Der Junge wurde aber nach seinem berühmten Großvater benannt. Schon irgendwie nett, nicht wahr?


Seit man weiß, was die Ursache des Down-Syndroms ist, wird insbesondere in medizinischen Zusammenhängen auch der Ausdruck „Trisomie 21" genutzt:

Bei Menschen mit einem Down-Syndrom, ist meist in allen, manchmal aber auch nur in einigen Körperzellen, das Chromosom der Nummer 21 ganz oder teilweise dreifach statt üblicherweise zweifach vorhanden. Das hat der Behinderung (es ist keine Krankheit!) den Namen „Trisomie 21" eingebracht (lateinisch: tri = 3 / soma = Körper, hier ist der Chromosomenkörper gemeint).

Obgleich es werdenden Eltern oft anders vermittelt wird, kann man das Vorliegen eines Down-Syndroms bis heute pränatal (= vor der Geburt) nur durch eine Chromosomenuntersuchung mit nahezu 100%iger Sicherheit feststellen.
Allerdings stimmte es schon, dass es einige Verdachts(!)Momente gibt, die auf ein Down-Syndrom beim ungeborenen Baby hindeuten können und für die man keine Chromosomenanalyse braucht, um sie festzustellen. Dazu zählen z. B. eine Flüssigkeitsansammlung im Nackenbereich des Babys (Nackenödem/große Nackentransparenz), eine große Fruchtwassermenge, Herzfehler und vergleichsweise kurze Oberarm- und Oberschenkelknochen. Diese und einige weiter Besonderheiten können aber auch bei Babys ohne Down-Syndrom auftreten und deshalb kann man allein durch sie niemals eine sichere Diagnose stellen. Das geht nur durch eine Chromosomenuntersuchung und vorgeburtlich sind dazu Untersuchungen wie die Amniozentese oder die Chorionzottenbiopsie nötig.

Nach der Geburt gibt es einige körperliche Besonderheiten, die bei vielen Kindern mit Down-Syndrom häufig in Kombination miteinander vorkommen. Der Ausdruck Down-„Syndrom" weist auf dieses meist gemeinsame Vorliegen bestimmter Merkmale hin:

Zu den als typisch geltenden Down-Syndrom-Merkmalen zählen z. B. die Vierfingerfurche (eine oder beide Handinnenflächen können von einer Linie durchzogen sein, die in bei den meisten Menschen ohne zusätzliches Chromosom 21 im Bogen, bei Menschen mit Down-Syndrom in etwa waagerecht über die Länge von 4 Fingern verläuft), die Sandalenlücke (die ersten und zweiten Zehen stehen oft ein größeres Stück auseinander als üblich), die geschrägten Lidachsen (die Augenlider stehen in Richtung oben außen leicht geschrägt und geben den Augen ein etwas mandelförmiges Aussehen), hellgelbe oder weiße Sprenkel (Brushfield-Spots) am äußeren Rand der Regenbogenhaut der Augen, kleinere, oft etwas weiter hinten am Kopf gelegene Ohren mit zum Teil verengten Gehörgängen, ein im Vergleich eher flacher Hinterkopf und ein im Profil meist aufgrund einer wenig ausgeprägten Nasenwurzel recht flach wirkendes Gesicht. Viele Kinder mit Down-Syndrom haben an den kleinen Fingern nur ein Gelenk statt üblicherweise zwei und die kleinen Finger können ein wenig in Richtung Ringfinger gebogen sein.

Viele Menschen haben ein ganz furchtbares Bild von Kindern mit Down-Syndrom vor Augen, wenn sie hören oder lesen, was alles „anders" am Aussehen der Kinder ist oder besser gesagt sein kann. Wenn Sie Interesse haben, einmal einfach nur Bilder von verschiedenen Menschen mit Trisomie 21 zu sehen, werden Sie auf beinahe jeder Seite zum Thema Down-Syndrom fündig werden (siehe: http://www.regenbogenzeiten.de Rubrik Links).

Bei Kindern mit Down-Syndrom treten bestimmte Besonderheiten im Bereich der inneren Organe leider häufiger auf, als bei Kindern ohne das zusätzliche Chromosom 21: Von 1.000 Kindern kommen durchschnittlich acht mit einer Fehlbildung des Herzens auf die Welt und etwa 10 % dieser Kinder haben gleichzeitig ein Down-Syndrom. Anders ausgedrückt heißt das: Etwa 40 bis 60 von 100 Kindern mit Trisomie 21 haben einen Herzfehler. Die allermeisten Herzfehler können heutzutage operativ korrigiert werden. Oft geschieht dies schon wenige Wochen oder Monate nach der Geburt. Die wenigsten Herzfehler sind auch heutzutage leider noch inoperabel und bedeuten einen meist vergleichsweise frühen Tod des Kindes.

Auch Darmverschlüsse (heutzutage problemlos zu beheben) treten bei Neugeborenen mit Trisomie 21 prozentual gesehen häufiger auf. Manche Kinder werden mit der Hirschsprung-Erkrankung geboren. Das hat nichts mit der Fortbewegung von Waldtieren zu tun sondern ist eine Nervenschwäche im Dickdarm: Die Nerven funktionieren nicht richtig und der Kot kann nicht transportiert werden. Der betroffene Teil des Darms muss operativ entfernt werden.

Oft sind Kinder mit Down-Syndrom fehlhörig: Häufig wird dies durch Flüssigkeitsansammlungen im Ohr, so genannte Paukenergüsse verursacht. Manchmal ist es notwendig, eine Art Ableitung zu legen, ein Paukenröhrchen, damit die Flüssigkeit gut abfließt und das Hören nicht beeinträchtigt. Manchmal sind die Gehörgänge bei der Geburt auch noch sehr eng und beeinträchtigen die Wahrnehmung von Geräuschen. Meist „wächst sich das aus", d. h. in dem Maße wie das Kind wächst, werden auch die Gehörgänge weiter. In einigen Fällen hat die Hörstörung schwerwiegendere Ursachen und man kommt nicht drum herum, dem Kind Hörgeräte anpassen zu lassen, denn das Hören ist äußerst wichtig für die Lautsprachentwicklung. Diese sollte insbesondere bei Hörproblemen durch Logopädie (eine Art professionell angeleiteter „Sprechunterricht") unterstützt werden, damit Defiziten vorgebeugt bzw. angemessen begegnet werden kann.

Auch die Augen können Kindern mit Trisomie 21 Probleme bereiten: Manche Kinder schielen mehr oder weniger stark oder sind kurz- oder weitsichtig. Einige Kinder brauchen darum schon im Kleinkindalter eine Brille und je kleiner das Kind ist, desto schwieriger ist es, ihm begreiflich zu machen, dass die gerade für kleine Kinder ja schon sehr lästige Brille auf die Nase gehört und kein Spielzeug ist. Da ist von den Eltern Nervenstärke und Konsequenz gefragt (genau wie bei einem Hörgerät auch). Da wird es Tränen und mitunter echte Machtkämpfe geben, aber da führt dann leider kein Weg dran vorbei. Außer die Beeinträchtigung kann durch einen operativen Eingriff behoben werden.

Viele Kinder mit Down-Syndrom sind sehr anfällig für HNO-Infektionen, da sie nicht selten eine im Vergleich eher schwach ausgeprägte Immunabwehr haben und engere Atemwege und Gehörgänge besitzen, in denen sich häufig „was festsetzt". Sie können darum öfter z. B. Erkältungen und Mittelohrentzündungen bekommen. Leider sind auch Lungenentzündungen bei vielen Kindern keine einmalige Angelegenheit.

Einige Kinder mit zusätzlichem Chromosom 21 bekommen auch eine Form von Epilepsie, z. B. das West-Syndrom, das sich durch Blitz-Nick-Salaam-Anfälle/BNS-Anfälle kennzeichnet und leider meist nicht so gut behandelbar ist wie andere Formen von Epilepsie.

Durchschnittlich eines von 100 Kindern mit Down-Syndrom bekommt eine Form von Leukämie, häufig die so genannte akute nonlymphatische Leukämie (ANLL). In höherem Alter sind Männer mit Trisomie 21 für Hodenkrebs anfälliger als Menschen ohne Down-Syndrom. Gerade die Sache mit dem Krebs ist für viele Eltern sehr beunruhigend. Daher auch mal eine positive Besonderheit an dieser Stelle: An sonstigen Krebsarten erkranken Menschen mit Down-Syndrom statistisch gesehen zehnmal seltener als der Bevölkerungsdurchschnitt! Auch sind die Heilungs- bzw. Überlebenschancen bei Krebserkrankungen bei ihnen durchschnittlich höher als bei Menschen ohne ein zusätzliches Chromosom 21!

Vieles im Bereich „Gesundheit", klingt ja wirklich eher erschreckend. Aber kein Mensch mit Trisomie 21 weist alle Merkmale auf (es sind heutzutage etwa 120 bekannt), die als „typisch Down-Syndrom" gelten. Das gilt natürlich auch für Besonderheiten im medizinischen Bereich. Menschen mit Down-Syndrom sind entgegen aller Vorurteile wirklich nicht dauerkrank und nur vergleichsweise wenige müssen regelmäßig Medikamente einnehmen. Nicht wenige sind im Gegenteil die meiste Zeit ihres Lebens ebenso oft gesund oder krank wie andere Menschen auch.

Auch heute noch herrscht oft die Ansicht vor, Menschen mit Down-Syndrom würden früh sterben. Bis vor einigen Jahrzehnten war es auch tatsächlich so, dass nur wenige älter als 25 Jahre wurden, weil insbesondere die HNO-Infektionen und Herzfehler nicht gut behandelt werden konnten. 1929 lag ihre Lebenserwartung statistisch gesehen bei nur 9 (!) Jahren! Heute werden EuropäerInnen mit Down-Syndrom insbesondere aufgrund moderner medizinischer Möglichkeiten und einer im Gegensatz zu früheren Zeiten deutlich verbesserten Lebensqualität durchschnittlich 55 (!) Jahre alt und viele noch deutlich älter. Die älteste Frau mit Trisomie 21 die ich persönlich kenne ist 60 Jahre alt und hat bis auf eine Funktionsstörung der Schilddrüse keinerlei Probleme. Sie ist gesellig und meist gut gelaunt, liebt ausgiebiges Kaffeetrinken und geht noch in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten. Das macht ihr großen Spaß und sie wird augenblicklich traurig, wenn sie das Wort Urlaub hört.

Allerdings ist es schon richtig dass man bis vor kurzem insbesondere in Deutschland (noch!) vergleichsweise selten SeniorInnen mit Down-Syndrom gesehen hat. Das hat einen traurigen Grund: Im Zuge der so genannten T4-Programme des Nationalsozialismus unter Adolf Hitler wurden Menschen mit Behinderung als „lebensunwertes Leben", als „Ballastexistenzen" und „unnütze Esser" gezielt ermordet. Auch Menschen mit Down-Syndrom blieben nicht verschont und wurden von ihren Familien oder Wohnheimen oft sogar freiwillig ihren Mördern überlassen. Viele glaubten offenbar, man würde ihre Angehörigen bzw. PatientInnen in eine „Heil- und Pflegeanstalt" bringen. Aber sie wurden planmäßig getötet, oft erst nachdem sie von ÄrztInnen noch für angeblich wissenschaftlich orientierte Versuche missbraucht worden waren. Die zur Verschleierung der Ermordung ausgestellten Totenscheine lauteten stets auf unvorhersehbare Ereignisse wie Lungenentzündung, epileptischer Anfall usw. Eltern, die versuchten, ihre Kinder wieder zu sich zu holen, hatten in aller Regel keinen Erfolg: Die Mutter eines behinderten Jungen beispielsweise schrieb an die Mörder ihres Kindes in Hadamar: „Über die so genannten Todesfälle bin ich genau unterrichtet. Als sie wussten, dass ich meinen Sohn holen würde, haben sie den Tod beschleunigt. Sie sollten wenigstens wissen, dass wir im Bilde sind" (Paula Frank, 22.08.1941).
Eine traurige Vergangenheit also, durch die eine Generationenlücke entstanden ist. Und viele Menschen sehen in den heutigen Möglichkeiten bzw. Konsequenzen der Pränataldiagnostik einen Weg, der auf andere Weise wieder zurück zu den menschenverachtenden Praktiken der selektiven Tötung von „lebensunwertem" Leben in der Zeit des Nationalsozialismus führt. Das ist aber ein anderes Thema. Kehren wir also zurück zu der Ausgangsfrage, was Down-Syndrom eigentlich ist:

Die körperliche Gesamtentwicklung von Kindern mit Down-Syndrom (z. B. im Bereich der Motorik) ist in aller Regel deutlich verzögert. Eine entscheidende Rolle spielt dabei u. a. eine den ganzen Körper betreffende Muskelschwäche (Muskelhypotonie), die sich durch Krankengymnastik und spezielle Trainingsübungen zu einem großen Teil ausgleichen lässt. Die Muskelschwäche sorgt z. B. dafür, dass die Babys beim Stillen schnell ermüden, weil sie sich beim Saugen und Schlucken anfangs sehr anstrengen müssen. Viele sind sehr ruhige Kinder, die nicht besonders oft und lang und wenn dann eher leise weinen, da auch das Schreien ziemlich anstrengend sein kann. Kinder mit Down-Syndrom werden in aller Regel später krabbeln, sitzen, stehen und laufen lernen - aber sie werden es schließlich lernen!

Insbesondere mit der Muskelschwäche hat übrigens auch zu tun, dass viele Menschen mit Down-Syndrom ihre Zunge ein stückweit aus dem Mund herausgucken lassen, gerade im Kindesalter meist mühelos einen Spagat hinbekommen und problemlos im „Buddha-Sitz" sitzen können. Darüber hinaus können sie sich in dieser Position besser halten, weil ihre Arme und Beine oft ein bisschen kürzer sind als gewöhnlich und sie sich im Sitzen nicht so gut mit ihnen abstützen bzw. halten können.

Die ungewöhnliche Dehnbarkeit der Muskeln und Sehnen macht zunächst vor keiner Körperpartie Halt und leider auch nicht vor den Muskeln, die für die Blasen- und Darmkontrolle nötig sind. Die meisten Kinder mit Down-Syndrom brauchen daher meist deutlich länger als nicht behinderte Kinder, um „sauber" zu werden.

Die kognitive Entwicklung von Menschen mit Trisomie 21 ist ebenfalls verzögert. Man spricht in der Umgangssprache vom Vorliegen einer lebenslang bestehenden mehr oder weniger ausgeprägten „geistigen Behinderung". Ich persönlich gebe im Hinblick auf den qualitativen Unterschied zwischen Geist und Gehirn dem Ausdruck „kognitive Behinderung" den Vorzug.

Das Entwicklungstempo ist u. a. je nach Art der Trisomie 21 (es gibt vier verschiedene Formen: Freie Trisomie 21, Translokations-Trisomie 21, Mosaik-Trisomie 21 und Partielle Trisomie 21) sehr individuell und insbesondere auch je nach Qualität und Quantität der (Früh-) Förderung und Forderung sehr unterschiedlich.

Früher ist man davon ausgegangen, dass vor allem im Bereich der kognitiven Entwicklung Menschen mit Down-Syndrom über den Stand von acht-, neunjährigen Kindern nicht hinauskommen. Heute weiß man es besser: Menschen mit Trisomie 21 sind prinzipiell fähig, bis ins hohe Alter zu lernen und werden auch intellektuell-kognitiv erwachsen, wenngleich ihre Denkstrukturen (insbesondere was das abstrakte Denken angeht) in der Regel „einfacher" sind, als die nicht behinderter Menschen. Aber immer wieder und vor allem immer öfter werden Fälle bekannt, in denen Menschen mit Down-Syndrom Regelschulabschlüsse bekommen. Mir sind aus der Presse mittlerweile zwei Menschen bekannt, die studiert haben. Einer von ihnen ist schon fertig und arbeitet nun als Lehrer an einer Sonderschule. Diese Beispiele sollte zu denken geben...

Entgegen hartnäckigen Meinungen ist nur ein geringer Prozentsatz der Menschen mit einem Down-Syndrom als kognitiv schwerstbehindert einzustufen. Die meisten Kinder lernen heutzutage mit den nötigen Hilfestellungen das Lesen, Schreiben und Rechnen. In den 1930er Jahren hatte ihnen das übrigens noch keiner zutrauen wollen!

Viele besuchen integrative Kindergärten und Schulen, manchmal ist sogar der Besuch von Regeleinrichtungen möglich, wenn es nicht insbesondere an bürokratischen Hürden und Vorurteilen scheitert.

Vor einiger Zeit habe ich einen Bericht gelesen, in dem ein junger Mann mit Down-Syndrom seinen Führerschein gemacht hat! Ganz normal, wie alle anderen BewerberInnen ohne ein Zusatzchromosom auch. Hätte das jemand vor 20 Jahren vorausgesagt - er wäre wahrscheinlich ausgelacht worden.

Die meisten erwachsenen Menschen mit Down-Syndrom sind mit geeigneter Unterstützung heutzutage durchaus in der Lage, ein relativ eigenständiges Leben außerhalb des Elternhauses zu führen. Auch Menschen mit Trisomie 21 wollen nicht ewig die Füße unter Mamas und Papas Tisch haben! Die meisten leben in Wohnstätten für Menschen mit Behinderung, immer mehr aber auch in eigenen Wohnungen oder Wohngemeinschaften mit individueller pädagogischer Betreuung und Assistenz.

Die meisten können geregelt arbeiten gehen, mittlerweile auch immer öfter an Arbeitsplätzen in der freien Wirtschaft wie z. B. in Kindergärten, Seniorenheimen, Bibliotheken, Restaurants, Cafés, Großküchen, Wäschereien, Kaufhäusern, Fachgeschäften und Hotelbetrieben anstatt in den üblichen Werkstätten für Menschen mit Behinderung, obgleich diese immer noch die Arbeitsplätze bieten, in denen den die meisten Anstellung finden.

Auch das Thema Partnerschaft und Sexualität, was noch vor einigen Jahren für Menschen mit Behinderung (allgemein!) streng tabuisiert wurde, hat heute bereits einen ganz anderen Stellenwert: Menschen mit Down-Syndrom können und wollen lieben und Beziehungen eingehen, manche heiraten, wenn sie die Frau oder den Mann fürs Leben gefunden haben und bislang recht wenige Frauen bekommen auch ein Baby. Die Sexualaufklärung gestaltet sich meist schwieriger als bei Menschen ohne Behinderung. Viele Jungendliche und Frauen bekommen daher die Pille oder Verhütungsspritzen bzw. -implantate, um sich einerseits vor ungewollten Schwangerschaften zu schützen und um anderseits die Möglichkeit zu haben, Sexualität leben zu können, wenn sie einen Partner haben und dies möchten.

Übrigens ist es so, dass Männer mit Freier Trisomie 21 offenbar unfruchtbar sind. Frauen mit Down-Syndrom können Kinder bekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau mit einem zusätzlichen Chromosom 21 und ein Mann mit unauffälligem Chromomensatz ein Kind mit Down-Syndrom bekommen, liegt bei der Freien Trisomie 21, die am häufigsten vorkommt, bei 50 %. Frauen mit Down-Syndrom können auch völlig gesunde, nicht behinderte Kinder bekommen, obwohl ihre Babys häufiger mit körperlichen und kognitiven Besonderheiten geboren werden als die Babys von Müttern ohne Zusatzchromosom. Elternschaft bei Frauen mit Down-Syndrom ist noch nicht sehr häufig. Vielleicht wird es da in den nächsten Jahren auch einen Wandel geben im Zuge der Selbstbestimmungsbestrebungen behinderter Menschen, aber dazu kann man natürlich heut noch nichts sagen.

Kinder mit Down-Syndrom werden oft als lieb, genügsam, freundlich, humorvoll usw. beschrieben. Ich kenne keines, das es nicht wäre! In der Regel sind sie mit ihrem häufig offenen, unbekümmerten und freundschaftlichen Wesen sogar der Mittelpunkt von Familienfesten, der „Sonnenschein" ihrer Eltern, Großeltern und Geschwister (naja, keineswegs immer natürlich, wie das bei Geschwistern so ist). Aber ich kenne auch kein Kind mit Down-Syndrom, das nicht in erster Linie Kind wäre und auch wie jedes andere Kind bockige, sture, launische, freche, uneinsichtige, quengelige und hochgradig nervige Phasen hat, irgendwann in die Pubertät kommt, in der es dann „richtig kracht" und schließlich erwachsen wird, was ja auch mit diversen Streitereien, Meinungsverschiedenheiten einhergeht.

Schwierig ist auch, dass viele Kinder mit Trisomie 21 ausgesprochene Weglauf-Kinder sind (warum auch immer, man weiß es nicht), die ihre Umgebung gerne mal auf eigene Faust erkunden und damit Eltern, KindergärtnerInnen, LehrerInnen, BabysitterInnen usw. in höchste Panik versetzen können.

Obwohl sie oft als sehr unbedacht, leichtsinnig, blind für Gefahren usw. gesehen werden, kann man natürlich auch Kindern mit Trisomie 21 beibringen, sich in der Gesellschaft angemessen zu benehmen, z. B. an der Hand zu gehen, sich nicht jedem an den Hals zu werfen, Personen auf der Straße nicht zu beschimpfen, wenn sie ihnen unsympathisch sind, zu fragen, bevor sie sich etwas nehmen oder etwas berühren, was ihnen nicht gehört, die Hände vor dem Essen und nach dem Toilettengang zu waschen, nicht mit dem Essen zu spielen oder herumzuschmieren, angeschnallt zu bleiben, nicht dazwischen zu sprechen, wenn sich Leute unterhalten und was sonst noch alles zu gutem Benehmen dazugehört.

Sie sind prinzipiell fähig, jede Verhaltensregel zu lernen und auch einzuhalten, wenngleich dies oft einige Zeit dauert und vergleichsweise viel Konsequenz von den Eltern und anderen Bezugspersonen fordert, bis ihnen einsichtig ist, warum sie dies tun und jenes lassen sollen. Vieles, was Erwachsenen logisch erscheint, ist für Kinder ohnehin völlig unverständlich und für solche mit einem Down-Syndrom durch die damit meist einhergehende Einschränkung im kognitiven Bereich besonders. Problematisch wird es bei vielen Kindern mit Trisomie 21 sogar paradoxerweise oft gerade dann, wenn sie verinnerliche Regeln einmal nicht oder auch gar nicht mehr befolgen sollen! Struktur und Regelmäßigkeit sind vielen sehr wichtig.

Von daher könnte man - auch im Bezug auf andere Dinge - sagen, dass ihnen die Art von Spontaneität und Einsichtsfähigkeit nicht behinderter Menschen mehr oder weniger fehlt, was natürlich gerade auch in der Öffentlichkeit nicht immer einfach zu handhaben ist.

Das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom ist auf seine Weise anders problematisch und schwierig als das Leben mit einem Regelkind. Ein Kind mit Trisomie 21 wird wahrscheinlich öfter einen Arztbesuch brauchen (z. B. wegen der erhöhten Infektanfälligkeit im HNO-Bereich und eventuell vorhandenen Besonderheiten im Bereich der inneren Organe). Es wird generell in vielem einfach vergleichsweise „mehr" brauchen: Mehr Förderung, weil es viele Dinge nicht selbstverständlich von selbst lernt. Mehr Zeit, um bestimmte Anforderungen zu erfüllen. Mehr Aufmerksamkeit, weil es viele Dinge nur sehr bedingt einschätzen lernen kann.

Kinder mit Down-Syndrom stellen an ihre Familien besondere und mitunter hohe Ansprüche, denn sie benötigen mehr Zeit, mehr Begleitung, mehr Förderung, die Eltern werden mit sturen Behörden zu kämpfen haben, mit Intoleranz, Unverständnis, Diskriminierung und verletzenden Kommentaren, aber sie werden auch Solidarität, Unterstützung, Hilfe und Ermutigung erfahren. Sie werden sich mitunter durch Berge von Literatur durcharbeiten müssen und immer wieder an den Punkt kommen, an dem sie denken „Ich schaff' das alles nicht". Aber sie werden auch eine Menge Spaß haben und kleine und große Erfolgserlebnisse genießen können und Momente mit ihrem Kind erleben, die mit keinem anderen Kind glücklicher hätten sein können. Es ist schwer, das zu beschreiben. Man muss es erlebt haben, um zu verstehen, was ich an dieser Stelle genau meine.

Viele Eltern wachsen in ihrer Partnerschaft an den Herausforderungen, die ihnen das Leben mit einem Kind mit Trisomie 21 stellt. Viele berichten, ihre Beziehung sei sehr viel inniger geworden, wäre sehr viel tragfähiger für Alltagsprobleme, an denen andere Partnerschaften zerbrechen. Vielleicht liegt das daran, dass Kinder mit Down-Syndrom andere Maßstäbe in das Leben ihrer Eltern bringen was die Auslegung von Begriffen wie z. B. „Problem", „Glück", „Unglück" usw. betrifft...
Es gibt aber natürlich auch Elternpaare, die sich trennen, weil sie stressige Situationen und angstvolle Momente regelmäßig nicht gemeinsam oder arbeitsteilig geregelt bekommen und sich so kein Alltag einspielt, der zufrieden stellend bewältigt werden kann. Viele gehen auch deshalb schließlich weitgehend getrennte Wege, weil jeder eigene Pläne mit dem Kind hat, andere Therapien, Förderangebote und Lebenskonzepte für es vorsieht und man als Paar einfach nicht auf einen Nenner kommt. Manche Elternpaare kommen auch nicht damit zurecht, sich vom „Wunschkind" zu trennen, dessen Bild sich im Verlauf der Schwangerschaft in ihren Köpfen aufgebaut hatte, und sie trennen sich dann stellvertretend vom realen Kind und damit gleichzeitig vom Partner.

Immer wieder höre ich Leute sagen: „Ja, wenn man sich für so ein Kind entscheidet, kann man seine Partnerschaft gleich an den Nagel hängen". Unbestritten ist eine Partnerschaft durch ein Kind mit Down-Syndrom Belastungen ausgesetzt, die es so mit einem Regelkind wahrscheinlich nicht gegeben hätte. Ich bin allerdings der Ansicht, dass die Hauptrollen bei einer Trennung immer die Erwachsenen spielen und nicht die von der Trennung letztendlich als Opfer betroffenen Kinder. Egal ob sie behindert sind oder nicht. Die Scheidungsraten vieler Länder zeigen, dass ein Kind ohne Down-Syndrom keine Garantie für eine glückliche, dauerhafte Partnerschaft ist. Und die Erfahrung unzähliger Elternpaare zeigt, dass ein Kind mit Down-Syndrom zu haben, gar kein Grund für eine Trennung ist.

Einige Eltern, die Folgekinder geplant hatten, überlegen sich das nach der Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom anders, weil sie ihrem Kind mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmen möchten, als das mit einem jüngeren Geschwisterkind möglich wäre. Andere Paare entscheiden sich wiederum bewusst für weitere Kinder, damit sich ihr Leben nicht nur um das Kind mit Handicap dreht. Die Statistik zeigt, dass Kinder mit Down-Syndrom nur selten als Einzelkinder aufwachsen.

Darüber hinaus werden ältere wie jüngere Geschwister mit als die besten Förderer von Kindern mit Down-Syndrom angesehen, denn diese lernen sehr viel durch Nachahmung. Und wer könnte ein nachahmenswerteres Beispiel geben als Bruder und/oder Schwester? Das heißt selbstverständlich nicht, dass Geschwisterkinder funktionalisiert werden sollen! Bitte, bitte nicht!!
Es heißt vielmehr, dass nach der Geburt eines Kindes mit Trisomie 21 nicht das gesamte Lebenskonzept ins Wanken gerät, welches sich die Eltern zurechtgelegt hatten. Ein Teil davon sicherlich, aber wer kann schon von seinem bisherigen Leben sagen, dass alles immer so lief, wie man es geplant hatte? Und wer kann sagen, dass die eine oder andere Wendung nicht auch ungeahnte Möglichkeiten gebracht hat? Das aber nur mal am Rande als kleiner philosophischer Exkurs sozusagen...

Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom werden mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert werden, wobei man mal klar sagen muss, dass sie nicht alle auf einmal auf die Eltern einstürzen werden (auch wenn sie manchmal genau dieses Gefühl haben!!). Sicher macht man sich oft schon kurz nach der Diagnose Gedanken wie: Und was wird mit Kindergarten und Schule? Was soll es denn mal werden, wenn es erwachsen ist? Wie wird es mit den älteren Geschwisterkindern werden? Wie sieht es mit weiterem Nachwuchs aus? Wer wird sich kümmern, wenn wir Eltern sterben? usw..
Für all das gibt es heutzutage diverse Lösungsmöglichkeiten und Menschen, die Eltern dabei helfen, die richtigen für sich, ihre Familie und ihr Kind mit Down-Syndrom herauszufinden. Aber ein Schritt nach dem anderen. Das sind völlig verständliche Gedanken, die sich ja nicht nur Eltern eines behinderten Kindes machen! Genau wie bei einem Kind ohne Behinderung werden Eltern sich um seine Zukunft sorgen. Und es bleibt zu wünschen, dass sie ihr Bestes tun, um sie zu sichern. Aber voraussagen kann sie niemand und nichts ist vollständig planbar.
Nach der Geburt haben Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom erstmal ein Baby, das sich in den meisten Dingen wie z. B. der Körperpflege, des Nahrungsbedarfes und vor allem dem Bedürfnis nach Liebe und Zuwendung gar nicht von anderen Kindern unterscheidet. Was das Kind mit der Zeit für Anforderungen an seine Eltern stellen wird - wer kann das sagen? Niemand. Weder für Kinder mit Down-Syndrom noch für Kinder ohne.

Eltern werden erfahren, dass gerade Kinder mit Trisomie 21 trotz der Schwierigkeiten, die ihre Behinderung mit sich bringen kann und dem „Mehr", das sie in vielem benötigen, durch vieles und oft insbesondere auch durch eine nahezu unbändige Lebenslust und ansteckende Fröhlichkeit das Leben ihrer Familie und ihres Freundes- und Bekanntenkreises um unglaublich vieles bereichern können. Und Eltern werden die Erfahrung machen, dass ein Kind mit Down-Syndrom in erster Linie ein liebenswertes Kind ist und nicht eine tragische Chromosomenstörung.

Das Leben mit einem Kind mit Trisomie 21 ist, wie das Leben mit Regelkindern auch, natürlich nicht immer „Friede-Freude-Eierkuchen", aber es ist auch nicht immer „Stress", „Angst", „Verunsicherung", und keinesfalls ist es „die Hölle", „eine Katastrophe", „eine Strafe". Ich kenne viele Familien, die ein oder sogar mehrere Kinder mit Down-Syndrom haben. Viele entscheiden sich übrigens ganz bewusst für Pflege- oder Adoptivkinder mit Trisomie 21! Aber keine ist dabei, die ihr Kind eintauschen würde, keine, die sich nicht noch mal für ihr „etwas anderes" Kind entscheiden würde.

Keine Behinderung kann und soll man schönreden und eine Trisomie 21 bringt zweifelsohne Probleme mit sich, wie oben zu lesen war. Ein Kind mit Down-Syndrom ist sicher kein zukünftiger Einstein (wussten Sie eigentlich, dass er eine Tochter mit Down-Syndrom hatte?), aber erst recht ist es kein lebloses, dummes Etwas, sondern es ist ein lebendiges, wissbegieriges Kind, das in der Regel früher oder später sein eigenes Leben haben und sich - sofern es seine Eltern denn zulassen - von diesen lösen wird.

Das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom ist in mancher Hinsicht nicht gerade einfach, aber es wird sehr, sehr oft schwieriger gesehen als es in den meisten Fällen tatsächlich ist. Gern "übersehen" werden z. B. die vielen (fast schon zu vielen) Möglichkeiten, die Kinder heutzutage sehr gut zu fördern und Familien zu unterstützen, die sich für ein Kind mit Behinderung entschieden haben. Es ist einfacher zu sagen, dass alles ganz furchtbar und absolut hoffnungslos ist.

Oft wird sogar behauptet, dass die Kinder ganz besonders schlimm behindert seien und sehr zu leiden hätten unter ihrer Behinderung. Mal abgesehen davon, dass ich keinen einzigen Menschen mit Down-Syndrom kenne, der unter den Auswirkungen des Zusatzchromosoms leidet, wird von selbsternannten „ExpertInnen" gern angeführt, dass es ja auch Kinder mit Down-Syndrom gibt, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, autistische Störungen entwickeln, gehörlos sind, die nicht sprechen lernen, AD(H)S bekommen, mit einem Hydrocephalus geboren werden usw.. Kinder mit Down-Syndrom sind nicht immun gegen weitere Behinderungen und Erkrankungen, die zu solchen oder anderen Beeinträchtigungen führen können. Aber „typisch" sind diese Beeinträchtigungen darum für sie keineswegs, denn sie stehen nicht in Zusammenhang mit dem zusätzlichen Chromosom 21!

Leider spukt aber auch in vielen studierten (Arzt-)Köpfen noch immer das Bild des „unbildbaren, ewig grinsenden, sabbernden Idioten" herum, wenn es um Menschen mit Trisomie 21 geht. Nicht wenige Eltern kriegen mit der vorgeburtlichen Diagnose in etwa vermittelt: „Sie erwarten ein schwerstbehindertes Monster-Kind, das furchtbar aussieht, ständig krank sein wird, mit dem Sie täglich zu Ärzten und zu Therapeuten rennen müssen, das nichts gescheites lernen wird, das unverständlich spricht, sich wie ein Mehlsack bewegt, Ihnen die Zeit stielt, das Sie seine Geschwister vernachlässigen lässt, das Ihnen vom Tag seiner Geburt an nicht eine ruhige Minute mehr gönnen wird, mit dem Sie nie wieder einer geregelten Arbeit nachgehen können und das Ihnen lebenslang wie ein Klotz am Bein hängt."

Und es ist kein Schönreden wenn ich aus jahrelanger theoretischer und praktischer Erfahrung sage: So ist es heutzutage einfach nicht mehr und es ist wichtig, auch das mal ganz deutlich zu machen!

Denn gerade die diagnosevermittelnden (Frauen-)ÄrztInnen, von denen sich die geschockten Eltern als erstes aktuelle Informationen, Rat und Hilfe erhoffen, wissen oft selbst nur soviel, wie sie in veralteten Fachbüchern (und veraltet ist ein Fachbuch heutzutage schon nach ganz wenigen Jahren!) gelesen oder vor Jahren auf der Uni gelernt haben. Viele wehren leider auch Angebote von Elterninitiativen mehr oder weniger dankend ab, die ihnen aktuelle Informationsbroschüren zur Weitergabe an betroffene Eltern zur Verfügung stellen möchten oder sich als Ansprechpartner anbieten.

Wie bei jedem Kind ist es auch bei Kindern mit Down-Syndrom unmöglich, Entwicklungsprognosen für die Zukunft abzugeben. Und obwohl von Anfang an klar ist, dass Kinder mit Trisomie 21 „mehr" in allem brauchen, ist ihr Leben und das Leben mit ihnen meiner Erfahrung nach und nach der Erfahrung unzähliger Familien mit einem solch besonderen Kind erfüllt und trotz aller behinderungsbedingter Schwierigkeiten ein insgesamt gesehen sehr glückliches.

Es wird in zahlreichen Foren für werdende Eltern oft gefragt, wer wann welche vorgeburtlichen Untersuchungen hat durchführen lassen, was das gekostet hat, wie das alles ablief, wann man das Ergebnis bekommt usw. Es wird vom Stress erzählt, von der Angst, der Warterei, von der Freude, wenn es „negativ" ausfällt, vom Schock, wenn es „positiv" ausfällt, von der Trauer, von seelischen und körperlichen Schmerzen beim Abbruch einer Schwangerschaft mit „positivem" Befund usw. Aber selten wird gefragt: „Weiß hier jemand, wie das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom heutzutage überhaupt ist? Wer kann mir Links, Literatur und AnsprechpartnerInnen nennen, damit ich mich am besten im Vorfeld oder auch nach der Diagnose informieren kann, was heutzutage auf mich zukommen könnte?"

 

Vielleicht haben Sie diesen Text gelesen, weil Sie das Thema Down-Syndrom ohne einen bestimmten Grund interessiert. Vielleicht sind Sie aber auch eine (werdende) Mutter oder ein (werdender) Vater und Sie sind mit der Diagnose Down-Syndrom konfrontiert worden oder es besteht die Möglichkeit, dass Sie bald damit konfrontiert werden.
In diesem Fall möchte ich Ihnen ans Herz legen, sich von niemandem unter Druck setzen zu lassen und sich bei der Entscheidung für oder gegen Ihr Kind Zeit zu nehmen. Informieren sie sich trotz allem Stress und aller Drängelei von ÄrztInnen, dem Partner, Verwandten usw. erstmal genau über die Behinderung und was sie heutzutage (!) bedeutet. Sie haben diese Zeit und werden in Ihrer Situation ohnehin kaum Gedanken und Kraft an etwas anderes verlieren wollen, richtig?

Lesen Sie aktuelle (!) Fachliteratur und schauen Sie sich Dokumentationen über Down-Syndrom an. Klicken Sie sich durch die einschlägigen Down-Syndrom-Seiten im Internet und lesen Sie möglichst viele Erfahrungsberichte. Suchen Sie (wenn Sie möchten geht das auch anonym) Kontakte zu Eltern eines Kindes mit Trisomie 21, z. B. in Gesprächsforen oder über die kostenlose und unverbindliche Down-Syndrom-Mailingliste (siehe Rubrik „Links").

Lassen Sie sich z. B. über die DS-Info-Zentrale Besuche bei möglichst mehreren Familien aus Ihrer Umgebung vermitteln, die ein Kind oder vielleicht sogar mehrere Kinder mit Trisomie 21 haben. Unterhalten Sie sich mit den Eltern, Geschwistern und Großeltern über das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom und erleben Sie die Kinder „life".

Ich weiß, dass das ganz viel Mut kostet und ich glaube auch zu wissen, warum das so ist: Viele Menschen haben Angst vor diesem direkten, persönlichen Kontakt, weil sie Sorge haben, sich selbst dann letztlich doch einzugestehen, dass Kinder mit Down-Syndrom in erster Linie Kinder sind. Und zwar Kinder, die von ihren Familien und Freunden innig geliebt werden! Denn schon Otto Flake stellte sehr treffend fest: „Liebe ist der Entschluss, das Ganze eines Menschen zu bejahen, die Einzelheiten mögen sein wie sie wollen."

 

In diesem Sinne herzliche Grüße!

http://www.regenbogenzeiten.de

(Frau Maurer, Jahrgang 1980, hat in Bochum Sozialpädagogik studiert und sich schwerpunktmäßig mit den Themen Down-Syndrom und Pränataldiagnostik befasst. Darüber hinaus konnte sie sowohl durch private Kontakte zu Familien mit Kindern mit Down-Syndrom Erfahrungen und Eindrücke sammeln, als auch durch die Arbeit im Bereich der Familienunterstützung und Freizeitbegleitung bei der Lebenshilfe NW e. V., für die sie seit 1999 regelmäßig tätig ist.)